Wenn 2018 in Europa noch immer das iPhone 6 vorherrscht

Ein Technologiemagazin befragte unlängst einige in der Techszene bekannte Persönlichkeiten, was sie denn so auf Reisen immer mit dabeihaben. Der digitale Evangelist eines deutschen Autokonzerns erwähnte dabei sein iPhone 6. Wie? iPhone 6 im Jahr 2018? Seither waren das iPhone 7, 8, X und Xs erschienen, wobei letztere unter anderem Gesichtserkennung eingebaut haben.

Dass Europäer veraltete Technologien verwenden, ist kein Einzelfall. Auch europäische Journalisten, die ich im Silicon Valley traf, hatten teilweise drei bis vier Jahre alte iPhones.

Ein ähnliches Bild ergab sich auf einer Fachmesse in Deutschland, wo Innovationsmanager, Entwicklungsleiter und Produktmanager von Tehcnologiekonzernen alte Smartphones herumtrugen. Auf die Frage, wer von den 100 Teilnehmern ein iPhone X oder ein Smartphone mit Gesichtserkennung habe, zeigte nur einer auf. Auf die Frage, wer zuhause einen Sprachassistenten wie Google Home oder Amazon Echo im Einsatz habe, rührten sich drei Hände.

Irgendwie ist das bezeichnend für die Misere des Technologie- und Innovationsrückstandes in Europa. Nicht, dass ich meine jeder muss das neueste Smartphone von Apple haben oder jeden letzten Technologiekram, diese Wahl sei jedem offen gestellt, nicht zuletzt auch aus Umweltschutzgründen. Aber die Menschen, die ich in der Regel auf solchen Veranstaltungen treffe und mit denen ich in meinem Berufsumfeld interagiere, stellen eine besondere Kategorie an Mitarbeitern in Unternehmen dar. Ihre Aufgabe ist es, Ihre Firmen in die Zukunft zu bringen, zu verstehen, was die letzten Trends sind und wohin sich die eigene Industrie und andere bewegen.

Das aber erfordert ein intrinsisches Interesse an neuen Technologien und Trends, eine Neugier wie das im Alltag funktioniert. Ich habe Bekannte, die mich regelmäßig kontaktieren, um an neueste Technologie aus den USA zu kommen, die sie mit einer europäischen Adresse und Kreditkarte noch nicht bestellen können, aber trotzdem Hand anlegen wollen. So habe ich damals ein gutes Dutzend Google Glass für Freunde besorgt, als man das nur den USA bestellen konnte.

Im Silicon Valley sieht man neueste Technologien oft sofort in den Händen der Nachbarn. Ein Besuch in meinem Stammcafé einen Tag nach der Einführung des iPads 2010 zeigte alle Besuche bereits mit einem iPad in den Händen. So sehr wir uns darüber lustig machen, dass Leute Tage vor der Einführung von Apple-Produkten vor den Filialen Schlange stehen um als erster das neuste Gadget zu kriegen, so sehr zeigt das das Interesse und die Neugier an diesen. Technologie und Konzepte die man aus erster Hand im täglichen Einsatz erfährt, erweitern den Horizont und die Anzahl der Ideen, und fließen unweigerlich auch in die eigenen Produkte ein,

Nur wenn ich diese Technologien selbst ausprobiere, beginne ich sie aus erster Hand zu verstehen und üblicherweise auch Möglichkeiten, wie ich sie im eigenen Umfeld einsetzen kann. Wenn ich im Automobilsektor arbeite, dann eröffnen sich mit Gesichtserkennung Möglichkeiten, Zugang zu und Inbetriebnahme eines Fahrzeugs zu kontrollieren. Wer braucht noch einen Fahrzeugschlüssel oder eine App um ein Auto zu verwenden, wenn mich das System am Gesicht erkennt? Oder wie kann ich Sprachassistenten im Auto verwenden, ohne mit Schaltern oder Touchscreen herumhantieren zu müssen?

Statt der Neugier an den Technologien werden zuerst die Ängste angeführt. Man fühlt sich unsicher, wenn das iPhone das eigene Gesicht erkennt, es aber selbst noch nie ausprobiert hat. Man fürchtet sich vor Sprachassistenten die immer zuhören. Diese Ängste sind zu Teil richtig, aber Ängste dominieren und überlagern die Chancen.

Stattdessen besucht man Konferenzen zu digitaler Transformation, redet schlau darüber, aber lebt sie nicht vor. Die Beschäftigung mit dem Thema geschieht bei uns vor allem auf der theoretischen Ebene, selten aber auf der praktischen. Weil damit die Erfahrung aus erster Hand fehlt, kommen mögliche Anwendungszwecke und Limitationen der Technologie im eigenen Umfeld nur beschränkt auf.

Der ehemalige deutsche Verkehrsminister Dobrindt auf Besuch im Silicon Valley sprach sich energisch gegen den Transportdienstleister Uber aus. Als er dann von der anwesenden Silicon-Valley-Elite befragt wurde, ob er denn Uber schon einmal verwendet hatte, antwortete er selbstgefällig „Natürlich nicht! Ich habe ja einen Fahrer!“

Weihnachten naht und deshalb ist mein Aufruf sich doch einfach das neueste iPhone und letzten Google Home zu gönnen. Es könnte der Beginn eines neuen Verständnis sein.

Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.

5 Gedanken zu “Wenn 2018 in Europa noch immer das iPhone 6 vorherrscht

  1. Was genau lernt man aus den Features (bzw. dahinterliegenden Technologien), die das iphone 8 und X dem 6er voraus haben? Was genau versteht man dann besser (bzw. überhaupt) und was würde man nicht verstehen? Konkret, bitte.

    1. Gesichtserkennung beispielsweise. Schon mal aktiv im Alltag ausprobiert? Zum Einloggen ins Handy, zum Bezahlen etc. Wenn man das erfahren hat (wie auch im Beitrag beschrieben, wenn man ihn aufmerksam gelesen hat), dann fallen mir sofort andere Anwendungszwecke in anderen Industrien ein. Zugang und Inbetriebnahme ins Auto beispielsweise (aber ich wiederhole mich, steht im Artikel).
      Wer ernsthaft bei Innovation mitreden und mitmachen will, und sein Unternehmen in die Zukunft bringen möchte, darf nicht so süffisant und ablehnend argumentieren.
      Das sieht mir stark nach einer Verteidigungshaltung aus, weil man sich ertappt fühlt.

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