Innovation floriert gerade wegen Einschränkungen und begrenzten Ressourcen

Der Aufsichtsratsvorsitzende eines deutschen Internetunternehmens fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Auf Besuch im Silicon Valley verfolgte er unsere Präsentationen zu den Mentalitätsunterschieden zwischen Silicon Valley und Deutschland und wand sich dabei auf seinem Stuhl. Den ganzen Vortrag über konnten er und seine Manager sich nicht zurückhalten und kommentierten unsere Ausführungen mit Sätzen wie: „Also, mit so einem Vertragswerk aus den USA werden wir in Deutschland nicht weiterkommen.“, „Die Qualität aus USA kann man aber eintüten.“, „Schön und gut, aber das wird beim Betriebsrat nicht durchgehen.“

Die zehnköpfige Gruppe war zu einer einwöchigen Tour zu Besuch, um besser zu verstehen, was das Silicon Valley anders macht, das deutsche Unternehmen alt aussehen lässt, und was man daraus auf europäische Verhältnisse übertragen könnte. Stattdessen fühlte sich die Gruppe bemüßigt, Deutschland verteidigen zu müssen. Einerseits war man zu Recht stolz, dass das deutsche Ingenieurwesen mit seinen Produkten nach wie vor Weltmarktführer war, andererseits war man sich schmerzhaft bewusst, dass viele der neuesten Innovationen vorwiegend aus dieser Region an der US-Westküste zu kommen schienen.

Darum geht es jetzt aber nicht, sondern darum, dass diese Reaktion einen sehr wichtigen Mentalitätsunterschied aufzeigt. Von der Wissenschaft wird dieses Verhalten als ‚vorzeitige kognitive Anhaftung’ bezeichnet. Dieses Verhalten gibt auch die bequeme Entschuldigung, dass man zwar gewollt hätte, aber das Erreichen des Ziels wegen der Beschränkungen leider nicht möglich war. Dabei bestehen diese Beschränkungen meistens nur im Kopf. Jeder Athlet wird mir da zustimmen. Wenn mein täglicher Lauf in der Nachbarschaft fünf Kilometer umfasst, dann sind drei Kilometer nicht mehr das Limit. Als ich über acht Kilometer täglich lief, waren fünf Kilometer ein Klacks für mich. Und so bereitet man sich langsam auf längere Läufe und immer weniger Einschänkungen vor.

Meine Antwort an den Vorsitzenden und die gesamte Besuchsgruppe jedenfalls war: „Ihr verschwendet eure Energie darauf, Entschuldigungen zu finden, warum etwas nicht gehen kann, anstatt Wege zu finden, wie ihr Hindernisse überwinden könnt.“

Europäer denken zumeist sofort an Grenzen, Risiken und Gefahren. Die erste Frage – es ist immer die erste, nicht die zweite -, die ich nach einem Vortrag zu innovativen Ideen wie beispielsweise Gamification vor europäischem Publikum erhalte, ist immer nach den Gefahren, Risiken oder der Moral dieses Konzepts. Und dabei ist es egal, ob ich vor einem großen deutschen Versicherungsunternehmen, Wissenschaftlern auf einer Konferenz in Wien oder 20-jährigen Studenten der Humboldt-Universität in Berlin referiere.

Damit schränken wir uns selbst ein. Das Risiko und die Gefahr, Neues zu probieren, ist nicht vorhersagbar und damit zu groß. Wir finden schnell Ausreden. Wir haben nicht genug Geld, nicht genug Zeit, nicht genug Fähigkeiten, um etwas zu machen. Es gibt zu viel Widerstand von Personen, Gruppen oder der Gesellschaft. Das wurde schon mal probiert und man ist damit gescheitert, warum soll es jetzt funktionieren?

Dabei vergessen wir, dass das oft die falschen Fragestellungen sind. Wo sind die Grenzen unseres Wissens oder unserer Fähigkeiten, einen Vortrag zu halten? Wenn wir nur so und so viel Geld zur Verfügung haben, ist der Fokus auf Geld nicht der falsche? Wenn wir keine Zeit haben, verwenden wir die Zeit falsch für das Dringliche, nicht aber das Notwendige?

Christoph Leitl, der Präsident der österreichischen Wirtschaftskammer, zeigte diese einschränkende Mentalität mehrmals bei einem Vortrag an der Stanford University vor Fakultätsmitarbeitern und ortsansässigen Europäern. Nach seinem Bericht über den Besuch bei diversen Start-ups, Unternehmen und Persönlichkeiten und auf die Frage, was die Delegation daraus lernen und mitnehmen konnte, antwortete er auf die Frage, was denn im Gegenzug das Silicon Valley von Österreich lernen könne, mit einem alle Anwesenden verblüffenden „Gar nichts!“.

Und das als Vertreter der österreichischen Wirtschaft, das sehr viele Hidden Champions hat und internationale Marktführer hervorbrachte. Auf meine Anschlussfrage, was denn die Österreichische Wirtschaftskammer plane angesichts der Auswirkungen, die das Silicon Valley auf Österreich hat, um eine Präsenz vor Ort aufzubauen, antwortete er: „Österreich ist ein kleines Land, das nur beschränkte Ressourcen hat, und wir können nicht überall sein.“ Dass aber Israel und Dänemark, zwei Länder mit weniger Einwohnern und Mitteln, trotzdem lokale Präsenzen haben, fiel nicht ins Gewicht. Und bei Ländern wie Norwegen oder der Schweiz wird deren Reichtum angeführt, dem man leider nichts entgegensetzen könne. Selbst das Beispiel Israel galt nicht, weil dieses Land ja von den Amerikanern angeblich so viel (militärische) Unterstützung bekomme.

Eine bessere Strategie wäre doch zu überlegen, was wir denn mit den begrenzten Ressourcen gemeinsam machen könnte. Aber diese Idee kam ihm nicht, die Entschuldigung war zu bequem.

Start-ups arbeiten mit sehr beschränkten Ressourcen und erreichen oft Großes. Zu viele Mittel können sogar ein Fluch für ein Start-up sein. Das mit 850 Millionen Dollar ausgestattete Better Place, das ein flächendeckendes Batterieaustauschsystem für Elektrofahrzeuge aufbauen wollte und nach wenigen Jahren Konkurs anmeldete, führte das dramatisch vor Augen. Better Place verzettelte sich mit Dänemark, Israel, Hawaii und San Francisco in zu vielen, sehr heterogenen Märkten gleichzeitig.

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